Rudower Heimatverein

Alt-Rudow 60

12355 Berlin

Kurzchronik






Rudow




Das auf ein mittelalterliche Dorfgründung zurückgehende Rudow im Süden Berlins an der

Stadtgrenze zum Kreis Königs Wusterhausen ist ein Ortsteil des Bezirks Neukölln. Während der größte Teil der rd. 12,5 Quadratkilometer großen Ortsteilfläche von aufgelockerter Einzellhausbebauung geprägt ist, stehen einigen landwirtschaftlich genutzten Flächen im Süden die im Nordwesten 1962 - 1975 entstandenen Wohnhochhäuser der Gropiusstadt gegenüber.


Das aus einer Landgemeinde und einem Gutsbezirk bestehende Rudow hat eine komplizierte Siedlungsgeschichte. Urkundlich wird der Ort 1373 erstmals genannt, Grabungsfunde lassen hingegen auf eine Gründung um 1200 schließen. Der Form als fleckenartig erweitertes Straßendorf deutet auf das Zusammenwachsen verschiedener Siedlungskerne hin. Die Besitzverhältnisse waren sehr zersplittert, bis Rudow 1702 im wesentlichen an das Amt Köpenick gelangte, von dem es 1811 zum Amt Mühlenhof kam.


Wohl auf die Söhne des Großen Kurfürsten (1640 - 1688) ging eine um 1680 errichtete Schloßanlage zurück, die 1704 als eines der vornehmsten Lusthäuser der Königs bezeichnet wurde (Schloß Rudow). Geringe Reste des Komplexes sind im Haus Nr. 48 an der Prierosser Straße noch erhalten, jedoch durch eingreifende Veränderungen kaum noch zu erkennen. Mittelpunkt des Dorfes bleib die Dorfkirche, ein aus Felssteinen ausgeführter rechteckiger Saalbau vom Ende des 13. Jahrhundert, der allerdings mehrfach, zuletzt 1909, einschneidend verändert wurde und nach schweren Kriegszerstörungen 1954 seine heutige Form erhielt. Aus der Zeit um 1800 hat sich der charakteristische Dorfkrug Alt-Rudow 59-61 erhalten, während die wohlhabend gewordenen Bauern sich meist im letzten Drittel des 19. Jahrhundert aufwendige Wohnhausbauten errichten ließen. Ein treffendes Beispiel hierfür liegt in der Köpenicker Straße 180.


Auch über die 1920 erfolgte Eingemeindung nach Groß-Berlin hinaus konnte Rudow seinen ländlichen Charakter im wesentlichen bewahren. 1945 kam Rudow mit Neukölln zum amerikanischen Sektor. Die Abschnürung West-Berlin durch die DDR verstärkte die verkehrsungünstige Randlage. Der Anschluss an die U-Bahn erfolgte erst mit dem Bau der Gropiusstadt. Seit der Grenzöffnung ist Rudow jedoch durch die Nähe zum Flughafen Schönefeld und dem Anschluss an den Autobahnzubringer A 111 zum Berliner Ring bei Altglienicke insbesondere im Verlauf der Bundesstraße 179 über Neuköllner Straße und Waltersdorfer Chaussee erheblich vom Durchgangsverkehr belastet. Zudem sind die Rudower Felder als Stadterweiterungsgebiet für den Neubau von 1.700 - 2.000 Wohnungen vorgesehen. 


An der Grenze zu Treptow im Osten liegen am Teltowkanal einige Industrieanlagen, darunter die Produktionsstätte der Firma Eternit und ein Heizkraftwerk der Berliner Kraft- und Licht (BEWAG) - Aktiengesellschaft. Ein beliebtes Ausflugziel ist die aus einen Trümmerberg entstandene 70 m hohe Rudower Höhe am Glashütter Weg mit einer großen Rodelbahn. Vom alten Dorfkern zur Stadtgrenze am Klein Zierthener Weg verläuft das renaturierte Rudower Fließ. Zum Zeitpunkt der letzten West-Berliner Volkszählung 1987 hatte Rudow rd. 48.000 Einwohner.


entnommen aus: "Berlin Handbuch" 1992, 1993 FAB Verlag, Berlin


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"Kaiserbesuche" (Zeitungsartikel von 1969)




"Majestät, essen Sie ruhig, es gibt nischt mehr!"

Einmal im Jahr besuchte Kaiser Wilhelm II Rudow.


Rudow nimmt in Groß Berlin eine der wenigen Sonderstellungen ein, denn es ist ein Dorf im eigentlichen Sinne geblieben, entbehrt aber trotzdem nicht das Angenehme der Großstadt, stellte mein früh verstorbener Freund Wilhelm Reichner fest, als er auf seinen "Wanderungen durch den Kreis Teltow" 1925 in den Neuköllner Ortsteil kam.



Was würde er wohl heute sagen, wenn er die vornehmlich auf Rudower Boden angelegte Gropiusstadt Berlin-Buckow-Rudow sehen könnte, mit ihren himmelhohen Häusergiganten, unter denen sich das mit 31 Geschossen höchste Wohnhaus Deutschlands befindet. Noch vor fünf Jahren ist man hier durch wogende Kornfelder gegangen und hat Wieneckes "Jungfernmühle" an der Rudower Straße als weithin sichtbaren Orientierungspunkt gehabt. Jetzt muss man das sagenumworbene Bauwerk eines romantischen Zeitalters mühsam suchen, versteckt es sich doch in einer rasch aufgeschlossenen Wohnsiedlung. Aber die Windmühle ist wenigsten noch vorhanden.

Ungefähr gleichzeitig mit der Gropiusstadt wurde im Süden Rudows, an der Grenze des Landes Berlin gegen den Kreis Königs-Wusterhausen, die Andreas-Hermes-Siedlung angelegt: bäuerliche Musterbetriebe  für Heimatvertriebene und Flüchtlinge, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Voll- und Nebenerwerbsstellen mit schmucken Wohnhäusern garantieren, dass Dorf Rudow das Lebenslicht noch nicht ausgeblasen ist. An der Großziethener Chaussee nahe dem stillgelegten Bahnhof Rudow der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn sorgt zudem eine "Ponderosa-Ranch" mit einem halben Dutzend geduldiger Ponys, dass die liebe Jugend am ländlichen Leben teilhaben kann. Als der Kabarettist Joachim Ringelnatz, der laut Telefonbucheintrag eigentlich Kunstmaler war, sein Bild "Im Frühling" malte, hat er einmal geklagt: "Nun habe ich zwei Tage lang kreuz und quer Berlin durchreist, und nirgends finde ich ein Ackerfeld". Anscheinend hat er den Weg vom Sachsenplatz in Westend nach Rudow nicht gefunden, denn hier gibt es bis heute weite Ackerflächen mit verträumten Feldpfuhlen, trotz aller Siedlungsbestrebungen der letzten Jahre. 


Eine von diesen ist der über hunderte Morgen große Kirchenacker zwischen Ostburger Weg und der sich an der Landesgrenze totlaufenden Köpenicker Straße. Hier ist die weite Ausblicke bietende "Rudower Höhe" aufgetürmt. Momentan nach ein von Unkraut überwucherter Schuttberg, der von 1970 an zu einer Parkanlage umgewandelt werden soll. 


Doch zurück zum Dorf Rudow, dessen Name auf das slawische "ruda" für Raseneisenstein zurückgeführt wird. Mit diesem heimischen Erz hat nicht nur der Alte Fritz seine Kriegsproduktion bestritten, auch die bis heute wohlerhalten gebliebene Stadtmauer des Städtchens Dahme im Süden der Mark Brandenburg wurde damit aufgetürmt. 


Rudows Dorfstraße heißt nicht - wie man erwarten sollte - "Alt-Rudow". Sie wurde 1950 Prierosser Straße genannt. Bis dahin hieß sie Bendastraße - und das mit sehr viel mehr Berechtigung als die gleichnamige Straße am Kranoldplatz in Neukölln. Dem unscheinbaren, auch sehr verwahrlosten Haus Prierosser Straße 61/63 sieh man heute nicht mehr an, dass es einmal das Gutshaus und als solches fast ein halbes Jahrhundert lang der Wohnsitz eines bedeutenden Mannes war. Der Regierungsassessor Robert v. Benda aus einer berühmten Musikerfamilie, deren jetziger Repräsentant sein Enkel, Generalmusikdirektor Hans v, Benda ist, hatte sich nach 1848 durch freiheitliche Anschauungen bei seinen Vorgesetzten mißliebig gemacht und sollte nach Gummibooten "in die Wüste geschickt" werden. Kurzerhand erbat er die Entlassung aus dem Staatsdienst, kaufte 1853 das Gut Rudow für 65000Taler und baute hier seinen Kohl, ohne jedoch seine Politik zu vernachlässigen. Robert v. Benda war Mitbegründer der nationalliberalen Partei, die er seit 1858 im preußischen Landtag und in den Jahren 1867 bis 1898 im Reichstag vertrag, Obwohl Benda seiner liberalen Gesinnung treu blieb, hat ihn der stockkonservative Kaiser Wilhelm II sehr geschätzt und ihm sogar in seinen Memoiren "Ereignisse und Gestalten" anerkennende Worte gezollt:


"Einer Einladung auf den Landsitz Bendas, Rudow bei Berlin, bin ich gern gefolgt. Daraus entstand ein regelmäßiger Besuch einmal im Jahre. Die Stunden im Rudower Familienkreise, in denen von den talentierten Töchtern die Musik eifrig gepflegt wurde, sind mir in guter Erinnerung geblieben. Die politischen Gespräche zeigten, dass Herr v. Benda einen Blick besaß. Er hat mir manchen wertvollen Rat für die Zukunft erteilt."


Wie der Herr, so das Gescherr, sagt das Sprichwort, an das man unwillkürlich denkt, wenn man aus den Erinnerungen alter Rudower an die Kaiserbesuche ein oder die andere Anekdote hört. Der sonst auf dem Bock der Herrschaftskutsche thronende Franz Girlich musste dann mit weißen Glaces an den Händen bei der Tafel aushelfen. Als der Kaiser einmal dem zweiten Gang kaum zusprach, beugte sich der vollbärtige Artillerist von 1870 zu ihm mit den Worten: "Majestät, essen Sie ruhig, es gibt nischt mehr." Ein anderes Mal wollte S. M. noch ein Glas Rotwein haben, worauf Girlich dem Kaiser ins Ohr flüsterte; "Majestät, der is alle, aber unter uns gesagt, der weiße is ooch jut!"


Auch dem Haus Prierosser Straße 48, dem Gutshaus schräg gegenüber, sieht man seine Vergangenheit nicht an. Und doch ist der graue Steildachbau das älteste Privathaus Berlins. Um 1660 vom Kurfürstlichen Lustgärtner Michael Hanff errichtet, wurde es 1704 im Adreßkalender, dem Vorläufer unserer Adreßbücher, als eines der "vornehmsten Lusthäuser" des Königs gerühmt, der damals gern zu der äußerst ergiebigen Niederjagt nach Rudow kam. Aber im benachbarten "Lindengarten" konnte er nicht frühstücken, das gab es noch nicht. Das altertümliche Haus ist erst 1848 erbaut worden und das die Prierosser Straße malerisch abschließende Büdnergut Krokkusstraße 80 zwölf Jahre früher. Beide Häuser geben noch mit einigen anderen zusammen die dörfliche Idylle von einst wieder, wenn mittwochs und sonnabends der Wochenmarkt aufgeschlagen wird.


Kurt Pomplun


Artikel in? Anzeiger 

vollständige Name der Zeitung nicht bekannt


Sonntag, 09. November 1969. Seite 7